Zeitzeugengespräch mit Abba Naor:

„Das Leben is a Freid“

 

Am 11.05.2022 hatten wir die Ehre den Holocaustüberlebenden Abba Naor zum zweiten Mal an unserer Schule zu einem Zeitzeugengespräch begrüßen zu dürfen. Da aufgrund der pandemischen Lage Veranstaltungen dieser Art in den letzten zwei Jahren nicht durchführbar waren, wurde die Teilnahme am Vortrag und Gespräch mit Abba Naor möglichst vielen Schülerinnen und Schülern ermöglicht. Außer den 9. und 10. Klassen, die in der Aula in Präsenz anwesend waren, konnte auch die Q11 in den Kursräumen über die Lernplattform der Schule zugeschaltet werden und auch einige erkrankte Schülerinnen und Schüler konnten das Geschehen von zu Hause aus verfolgen.

Die Persönlichkeit Abba Naors zieht die Jugendlichen sofort in ihren Bann. Auch mit 94 Jahren ist er vital und voller Energie. Seit nunmehr 30 Jahren berichtet er in Schulen von seiner Überlebensgeschichte. Den auf der Bühne für ihn vorbereiteten Tisch lässt er gleich wieder herunterstellen. Er sucht die Nähe zu den Schülerinnen und Schülern und wird den Vortrag und das Gespräch in den kommenden zweieinhalb Stunden im Stehen halten.

Betroffen verfolgten die Schülerinnen und Schüler die Schilderung Abba Naors, wie sich mit dem Beginn des 2. Weltkrieges und der Besetzung Litauens durch die Sowjetunion, die Atmosphäre in seiner Heimatstadt Kaunas veränderte und in einer bis dahin toleranten Stadt, in der verschiedene Religionen und Nationalitäten friedlich zusammenlebten, plötzlich eine Atmosphäre von Neid und Hass gegenüber Juden entstand. Nach dem Einmarsch der Deutschen 1941 musste die jüdische Bevölkerung der Stadt in das Ghetto Kaunas umziehen. Hier wird sein 14jähriger Bruder Chaim von der SS erschossen. 1944 wird die Familie in das KZ Stutthof gebracht, wo sie auseinandergerissen wird. Die Mutter und den jüngeren Bruder wird er nie wieder sehen, sie werden nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Vom Vater wird er getrennt. Ihn findet er nach der Befreiung wieder. Abba Naors Leidensweg setzt sich fort im Dachauer Außenlager Utting, dann in Kaufering I, einem der schlimmsten Lager Süddeutschlands. Eindringlich schildert er die auf allen Stationen herrschende Brutalität, den Hunger als Dauerbegleiter und die Verzweiflung.

Im anschließenden Gespräch versetzte uns Abba Naor in Erstaunen mit seiner Haltung gegenüber früheren Tätern. Auf die Frage eines Schülers, wie er denn zu aktuellen Prozessen gegenüber früheren KZ-Wächtern stehe, machte er entschieden deutlich, dass er sie nicht unterstütze und auch Anfragen an ihn abgelehnt habe, als Zeuge auszusagen. Auch wenn ihn die Erinnerung an seine verlorene Familie täglich einhole, so habe er doch seinen Frieden mit der Geschichte machen können und sehe es als unmenschlich an, diese alten Leute vor Gericht zu stellen.
Auch mit der Antwort auf die Frage, ob sich seiner Meinung nach die Geschichte in Deutschland wiederholen könne, überraschte er, indem er die Zuhörer direkt in die Verantwortung nahm: Das läge an ihrer Generation – wie sie mit der Geschichte umgingen.

Mehrfach wurde deutlich, dass es Abba Naor trotz seiner grausamen Erfahrungen geschafft hat, sich eine positive Einstellung zum Leben zu bewahren und das gab er an die Jugendlichen auch weiter: „Das Leben is a Freid.“ Sie sollten es genießen.

Mit diesem Zeitzeugengespräch hat Abba Naor uns allen den Auftrag gegeben, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen, gegenüber einem wieder erstarkenden Antisemitismus wachsam zu sein, und ihm entgegenzutreten. Bei der Verabschiedung haben wir ein weiteres Zeitzeugengespräch an der Schule ins Auge gefasst.

 

Daniela Scheuermann